

Hähnichen 26.4.-29.4.1984 -
Erinnerungen an eine Reise in die
Deutsche Demokratische Republik
Die Erinnerungen an meine erste Reise in die DDR sind auch 20 Jahre später
noch sehr präsent, wenn auch natürlich schon sehr lückenhaft und damit ohne
Anspruch auf Vollständigkeit.
Als wir - eine bunte gemischte Gruppe verschiedener Altersstufen - unter der
Leitung des evangelischen Ortspastors am Morgen des 26.April 1984, einem
Donnerstag, mit zwei Kleinbussen aus Sandkrug (bei Oldenburg i.O.) in Richtung
Hähnichen (Oberlausitz) losfuhren, waren wir doch sehr aufgeregt. Nicht nur auf
die Menschen der Partnergemeinde waren wir gespannt, die wir ja bisher nur durch
Briefkontakte oder vereinzelte, seltene Telefonate kannten. Besonders das den
meisten von uns unbekannte Land DDR erfüllte uns mit einer Mischung aus
Neugierde und Furcht. Was würde uns erwarten?
Nach rund drei Stunden Fahrt erreichten wir dann den DDR-Grenzkontrollpunkt
Marienborn an der Autobahn 2 Hannover-Berlin, den größten und wichtigsten
Grenzübergang zwischen den beiden deutschen Staaten. Die Reisepässe mit den
uns von unserern Gastgebern per Post zugesandten "Berechtigungsscheinen zum
Empfang eines Visums" hielten wir ebenso nervös in den Händen wie die
"Zoll- und Devisenerklärung", die wir vor Beginn der Reise
ausgefüllt hatten. Hatten wir an alles gedacht? Hatte auch niemand aus Versehen
noch eine Westzeitschrift im Gepäck, deren Einfuhr ebenso verboten war wie die
von Musikkasetten (mit westlicher Rock- oder Popmusik) oder Werbemitteln (z.B.
Kugelschreiber mit Aufschrift)? Als wir die Grenzlinie bei Helmstedt
überschritten, verschlug es uns erst einmal die Sprache. Der kalte Krieg in
seiner abstoßensten Form: Gleich am Anfang auf der rechten Seite ein großer
Wachturm (der übrigens heute noch steht und zusammen mit der Gedenkstätte
Deutsche Teilung, der ehemaligen Grenzüergangsstelle, an die Zeit der Spaltung
Deutschlands erinnert), rechts und links der Autobahn weiß getünchte, hohe
Mauern mit Stacheldrahtkronen und weitere unheimliche Grenzsperranlagen - man
hatte den Eindruck, in ein Gefängnis oder militärisches Sperrgebiet
einzufahren
Danach mußten wir uns in die Spur "Einreise DDR" einfädeln (wer nur
nach Berlin (West) fahren wollte, nahm damals die Spur "Transit
Westberlin"). Die erste, die beim Erreichen der Passvorkontrolle nach 2 km
auf DDR-Gebiet die Sprache wiederfand, war eine Dame mittleren Alters, die beim
Anblick des ersten (von vielen) auf uns wartenden Grenzers durch den Bus rief:
"Jetzt Ruhe! Und kein falsches Wort" - so groß war damals der Respekt
vor den Uniformierten. Heute weiß man übrigens, daß alle Mitglieder der
sogenannten Passkontrolleinheiten der DDR-Grenztruppen handverlesene Mitarbeiter
des Staatssicherheitsdienstes waren.
Im Visabüro wurden dann die Berechtigungsscheine abgegeben, dafür wurde dann
ein Visum in den Reisepass eingestempelt. Dann wieder ins Auto, ab zum nächsten
Kontrollhäuschen (Paß- und Personenkontrolle), danach wieder ein kleines
Stück weiter, anhalten, aussteigen, Zollkontrolle. Überprüfung der Zoll- und
Devisenerklärung, Öffnen des Kofferraums und Prüfung der Ladung. All dies
dauerte aber nicht sehr lange (an diesem Tag, wer öfter in die DDR einreiste,
konnte es auch anders erleben), so daß wir kurze Zeit später auf der
Transitautobahn in Richtung Berlin waren. Am Berliner Ring verließen wir die
Transitautobahn und fuhren südlich an Berlin vorbei Richtung Cottbus. Besonders
in Erinnerung sind mir noch die rauchenden Schlote des Braunkohlekraftwerks von
Lübbenau. Irgendwann verließen wir die Autobahn und kamen auf die B 115
Richtung Görlitz, einer für DDR-Verhältnisse sehr guten Straße. Bei der
Durchfahrt durch die ersten Dörfer abseits der Autobahn erlebte ich doch einen
gewissen Kulturschock. So grau hatte ich mir die DDR nicht vorgestellt.

Doch alle negativen und bedrückenden Erlebnisse der Hinfahrt waren wie
weggeblasen, als wir von den Hähnichern äußerst herzlich in Empfang genommen
wurden. Nach der Ankunft gab es im kleinen Gemeinderaum des Pfarrhauses erst
einmal Kaffee und Kuchen. Dabei wurde uns das Programm der kommenden Tage
vorgestellt, dann wurden wir auf unsere Gastfamilien aufgeteilt. Ich kam zu
einer Familie nach Niesky, mit deren Sohn ich schon einige Zeit in Briefkontakt
stand.
Am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück mit den leckeren
Doppelbrötchen, die ich hier zum ersten Mal sah und bis heute schätze, brachte
mich meine Gastfamilie zur Polizei - zur Anmeldung. Dort mußte man seinen
Nachweis für den Mindestumtausch vorlegen (25 DM pro Tag mußten in Mark der
DDR umgetauscht werden. Und da man keine Mark der DDR ausführen durfte, mußte
das Geld dann im Lande "verkloppt" werden. Ich habe dieses Geld bei
meinen bis zur Wende 1989 insgesamt 7 Reisen nach Hähnichen überwiegend für
theologische Bücher ausgegeben) und bekam ein weiteres Visum in den Paß
gestempelt, eines von dem die meisten DDR-Bürger bis 1989 nur träumen konnten:
"Visum - Gültig zur Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik bis
29.April 1984".
An diesem Freitag, den 27.April fuhr unsere Reisegruppe dann nach Dresden, das
wir bei wunderschönem Wetter besichtigen konnten. Der restaurierte Zwinger und
die wiedereröffnete Semperoper sind mir ebenso noch in Erinnerung wie die
Ruinen des Schlosses und natürlich die der Frauenkirche. Vor letzterer gelang
es mir, eine Gruppe sowjetischer Soldaten abzulichten, was damals natürlich
ebenso verboten war wie das Fotografieren der Dampflok, die ich im Bahnhof
Görlitz am nächsten Tag im Vorbeifahren entdeckt hatte. Zu Mittag aßen wir in
Dresden dann im "Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft".
Am Abend war ich dann zum ersten Mal in der "Jungen Gemeinde" in
Hähnichen, die in dem kleinen Häuschen hinter dem Pfarrhaus stattfand. Die
Gespräche in dem dicht verqualmten Raum (ich glaube, wir Jugendlichen haben
damals alle geraucht) drehten sich um alles Mögliche, von Zigaretten, Musik,
Klamotten bis hin zu Politik und Gott. Und wir stellten schnell fest, daß uns
viel mehr verbindet als uns trennt.
Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück holte mich der Bus mit den
anderen früh ab, da wir nach Görlitz fahren wollten. Ich erinnere mich noch an
zwei Dinge, als ich auf dem Marktplatz in Niesky stand und auf den Bus wartete:
Zum einen an eine lange Menschenschlange vor dem Milchladen an der Ecke, zum
anderen an das dichte Schneetreiben, das für Ende April unerwartet heftig
ausfiel. In Görlitz - der Aprilschnee hatte sich inzwischen verzogen -
unternahmen wir eine ausgiebige Stadtbesichtigung. Dabei fiel uns der schlechte
bauliche Zustand dieser wunderschönen, im Krieg nicht zerstörten Stadt auf.
Ein Ausflug in die damalige Volksrepublik Polen nach Zgorzelec (Ost-Görlitz)
war für unsere gemischte Gruppe damals nicht möglich. Zum einen, weil die DDR
den Grenzübertritt (nach der Entstehung der Solidarnosc-Bewegung in Polen zu
Anfang der achtziger Jahre) für DDR-Bürger stark erschwert hatte, zum anderen,
weil wir "BRD-Bürger" kein Visum für Polen besaßen.
Am nächsten Morgen, Sonntag, den 29.April 1984, feierten wir dann einen
schönen Gottesdienst in der Kirche zu Hähnichen. Danach hieß es Abschied
nehmen. Eine Anekdote ist mir hierbei noch in Erinnerung. Irgendein Hähnicher
wollte mal ein kleines Stück mit einem unserer Busse fahren und setzte diesen
beim Zurücksetzen dann prompt gegen einen Gartenbetonpfeiler des Pfarrhauses.
Wir mußten den armen Mann darauf hin erst einmal trösten!
Der Abschied war tränenreich. Nicht nur, weil wir eine wunderschöne gemeinsame
Zeit hinter uns hatten und uns die Gastfreundschaft der Hähnicher tief bewegt
hatte. Auch deshalb, weil das nächste Treffen noch ungewiß war. Zum einen,
weil die Hähnicher uns (noch!) nicht besuchen durften, zum anderen, weil auch
die Genehmigung unserer nächsten Einreise nicht selbstverständlich war. Jahre
später wurde denn auch mal eine Busreise nach Hähnichen aus unerfindlichen
Gründen nicht genehmigt - so war sie eben, die Willkür der DDR-Behörden.
Vorbei! Die DDR gibt es nicht mehr, doch unsere Partnerschaft ist geblieben. Der
Sozialismus ist tot, Jesus Christus und der Glaube sind und bleiben lebendig.
Die Zeit der Teilung werden wir hoffentlich nie vergessen und Gott dankbar
bleiben, daß er uns so gesegnet hat. Aus diesem Grunde habe ich die
Internetseite "Grenzerinnerungen" geschaffen, die sich mit der Zeit
der Spaltung Deutschlands, mit Mahnung und Erinnerung beschäftigt. Ohne die
Reisen nach Hähnichen wäre es wohl nie dazu gekommen.
Aus dem damals 17-jährigen Schüler Florian Bortfeldt wurde der
Theologiestudent, der im März 1990, nach der Wende, sein Gemeindepraktikum in
Hähnichen absolvierte. Seit 1996 bin ich nun Pastor der Oldenburgischen
Landeskirche. Die Freundschaft zur alten Partnergemeinde ist geblieben. Einmal
im Jahr bin ich mindestens in Hähnichen, das für mich zur zweiten Heimat
geworden ist.
Florian Bortfeldt, Mai 2004

